Lasst euch nicht verunsichern.
- Andi Felder
- 12. Jan.
- 4 Min. Lesezeit
In der NZZ vom Montag, 6. Januar 2025, ist folgender Artikel zu den Themen Sport, Bewegung und Gesundheit erschienen:
Da ich in vielen Punkten anderer Meinung bin, teile ich hier gerne meine Meinung dazu:
Beim ersten Durchlesen war ich enttäuscht. Wie kann eine Fachperson derart negativ über Sport schreiben. Die positiven Effekte von Sport auf unsere Gesundheit (Herz-Kreislauf, Übergewicht, Diabetes, Bewegungsapparat, ...) sind seit Jahren und Jahrzenten mehrfach durch gross angelegte wissenschaftlichen Untersuchungen belegt. Beim zweiten Durchlesen fiel mir auf, dass wir in vielen Punkten wohl gleicher Meinung sind, aber ich es sehr oft anders formulieren würde. Wer will, kann den Artikel als Vorwand nehmen, keinen Sport mehr machen zu "müssen". Und das finde ich gefährlich in einer sonst schon viel zu inaktiven Gesellschaft.
Titel: Wer setzt denn Sport und Gesundheit gleich? Ich jedenfalls nicht. Sport (Bewegung) ist ein wichtiger Teil der Gesundheit. Aber auch Ernährung, Schlaf, mentale Gesundheit, .... gehören dazu.
In denTrainings bei INDIVI Athletik trainieren wir immer funktionell. Funktionell heisst in dem Sinne, dass mehrere Muskeln/Muskelgruppen in einer Übung trainiert werden. So lernt der Körper, Bewegungen besser zu koordinieren und der Rumpf, aber auch die Hüfte und die Schultern müssen gleichzeitig stabil, aber auch mobil sein. Oder anders gesagt: Im funktionellen Training üben wir ganze Bewegungen, statt einzelne Muskeln zu trainieren. Ich glaube, der Autor ist eigentlich diesbezüglich gleicher Meinung. Nur hat er es leider in diesem Artikel unterlassen, funktionelles Training von geführtem, sitzendem Krafttraining an Geräten (was in vielen Fitnesscentern so gemacht wird) zu unterscheiden. Für ihn ist Sport/Training schlecht und Bewegung gut. Das ist für mich zu Schwarz-Weiss und auch nicht trennbar. Und dass es immer mehr Trainer gibt, die ganze Bewegungen und Bewegungsabläufe trainieren lassen, lässt er leider weg. Da werden alle in den gleichen Topf geworfen.
Unterscheidung Muskeltraining/Faszientraining: Wer (funktionell) trainiert, trainiert sowohl Muskeln wie auch Faszien (und auch weitere Strukturen wie Sehnen, Knochen, Bänder). Faszien umgeben diese Strukturen wie eine tiefliegende Haut und werden bei jeder Bewegung mit bewegt. Die Faszien sind wichtig, da sind wir uns einig. Doch würde ich auch hier nicht so Schwarz-Weiss malen und sagen Faszientraining = wichtig / Muskeltraining = unwichtig. Das kann nicht getrennt werden.
"Ein starker Rücken, keine Schmerzen." Diese Aussage findet er falsch, ich auch, denn nicht nur der Rücken muss stark (und beweglich) sein. Und doch schreibt er mir zu negativ über Krafttraining, als würde es Schaden anrichten. Im Gegenteil: Krafttraining erhöht bzw. erhält die Muskelmasse. Im Alter verlieren wir Muskelmasse, und wenn wir nichts dagegen tun, sogar ziemlich rasant. Mit immer weniger Muskelmasse können wir schlussendlich nicht mehr aufrecht stehen, nicht mehr gehen, irgendwann auch nicht mehr sitzen. Es sind die Muskeln, die unsere Knochen bewegen, das ist Anatomie, so ist unser Körper aufgebaut. Natürlich gibt es Personen mit Rückenschmerzen, die auch mit dem besten und funktionellsten Training diese Schmerzen nicht loswerden. Aber Ausnahmen (andere Schmerzursachen) gibt es immer und das soll uns nicht davon abhalten, die bewährte Methode des funktionellen Krafttrainings anzuwenden, die schon so vielen Menschen geholfen hat.
In dem Punkt bin ich absolut gleicher Meinung: Bewegung im Alltag ist das A und O. Was man in den 23 Stunden nebem dem Training macht, ist unter dem Strich wichtiger, als was man in der einen Stunde Training macht.
Er findet die 10'000 Schritte Regel sinnlos. Ich finde sie super. Wieso? Sie ist einfach. Und die Menschen brauchen einfache Tipps, einfache Richtlinien, an die sie sich halten können. Wer 10'000 Schritte in einer nicht perfekten Haltung macht, tut trotzdem was für seine Gesundheit. Und etwas tun ist immer besser als gar nichts tun. Darum verstehe ich nicht, wieso er das schlecht redet. Also doch, ich verstehe seine Überlegung. Aber die Vorstellung, dass jeder Mensch sich in perfekten Bewegungsmustern bewegt, ist eine Utopie, das wird nicht passieren. Also sollten wir die einfachen Hilfsmittel, wie z.B. die 10'000 Schritte Regel, dankbar annehmen.
Meine Vermutung: Er hat grundsätzlich was gegen die Art Fitnesscenter, die uns mit nicht individuellen Trainingsplänen das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Einfach ein paar Geräte in den Raum stellen, Abos verkaufen und die Kunden sich selbst überlassen. Da bin genau seiner Meinung, das ist nicht in Ordnung. Doch er vergisst komplett, dass er nicht der einzige Coach ist, der es gut meint mit seinen Kundinnen und Patienten.
Die Aussage "Sport erzeugt einen körperlichen Bewegungsmangel" finde ich sehr schwierig. Wenn die Alternative gar keine Bewegung ist, dann stimmt die Aussage sicher nicht. Monotonie ist nicht gut, das stimmt. Darum wechseln wir alle 6 bis 8 Wochen den Trainingsplan. Aber diese Zeitdauer braucht es auch, damit unsere Kundinnen und Kunden sich in den einzelnen Übungen verbessern können. Sonst brauchen wir zu viel Zeit zum erklären der stets neuen Übungen und es bleibt zu wenig Zeit für Bewegung.
Es bleibt ein fader Beigeschmack, auch nach dem dritten Durchlesen. Im Kern sind wir wohl gleicher Meinung, doch finde ich es sehr problematisch, die sonst schon verunsicherten Menschen in einem so wichtigen Punkt (Sport/Bewegung/Gesundheit) noch mehr zu verunsichern. Stattdessen sollte man sie zu mehr Bewegung motivieren, statt zu sagen "geht nicht mehr ins Fitnesscenter" - denn bei sehr vielen Leserinnen und Lesern des Artikels ist dies die Alternative zum Fitnesscenter: Gar nichts tun. Weil Sie sich ein Personaltraining nicht leisten können/wollen und weil sie komplett überfordert sind, ein funktionelles Training alleine zu planen und durchzuführen.
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